Berlin 29. Dezember 2016
Nachdem im September in Hamburg die Privatautos von Polizeidirektor Treumann brannten, sollte in logischer Konsequenz jeder beliebige Bulle als Ziel markiert werden, dachten wir als uns die Information erreichte, dass ein Polizeibeamter in den elitären Neubauten auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs an der Grenze zum Friedrichshainer Nordkiez wohnt. Denn jeder Bulle ist verantwortlich für die menschenverachtende Gewalt, die sein Staat ihm zur Herrschaftssicherung befiehlt. Egal ob er Einsätze steuert wie Treumann oder nur der letzte Sesselfurzer oder Schläger seines Reviers ist. Deshalb haben wir am 29.12.2016 den VW Touareg des Polizisten und dabei gleichzeitig die Nobelkarosse eines weiteren Eigenheimbesitzers, verantwortlich für die Mietenexplosion in diesem Kiez, angezündet.Während wir uns damit im Rahmen der eigentlich bis jetzt erfolgreichen Mobilisierung gegen den G20 betätigt haben, macht sich doch auch ein Gefühl der Unzulänglichkeit breit. So hat es etwas länger gedauert unsere Gedanken in Worte zu fassen.
Hören wir diesen Wochen von Angriffen gegen die Welt der G20 und die Stadt der Reichen, drängt sich ein Vergleich zur militanten Kampagne gegen den G8 in Rostock vor zehn Jahren auf. Was ist von den damaligen Anschlägen und Krawallen geblieben? Unzweifelhaft haben Qualität und Quantität von Sabotage und Zerstörung ihren Tiefpunkt um die Jahrtausendwende überwunden, inhaltlich stehen die Autonomen, von denen viele Erklärungen unterzeichnet sind, relativ alleine da. Zu erschreckender Harmlosigkeit verkommen, sind viele Antifa Gruppen kaum noch Ansprechpartner unserer Politik. Die mentale Abrüstung von früher mit uns hinter Barrikaden stehenden Zusammenhängen, vermittelt uns den Eindruck, die ganze Zeit die falschen Fragen gestellt zu haben. War nicht eine Hoffnung hinter den wenigen aber heftigen Straßenschlachten der letzten Jahre, mit den damit erreichten Menschen, die zahlreich nur auf diese Gelegenheiten warten, weitere Revolten anzetteln und Räume öffnen zu können?
Das es nicht möglich war, bis auf kurze Phasen in einigen Teilbereichen, eine breitere Gehorsamsverweigerung und Konfliktualität zu erlangen, ist nicht schlimm. Das Problem ist das Fehlen einer Utopie, die der Integrationskraft des Systems entgegen gesetzt werden kann. Was ist vom autonomen Kongress 2009 in Hamburg in Erinnerung geblieben? Da wir Militanz und Gewalt als Mittel einsetzen und sogar im Zusammenhang mit dem G20 bewerben, sollten unsere Ziele klarer formuliert werden können. Sonst können wir einfach als stumme Sabotageteams unser nächtliches Handwerk betreiben.
Die aktuellen Fragen – Macht, Gegenmacht, Verhältnis zur Gesellschaft, Organisierung, Bündnisse u.s.w. – wurden bereits öfter diskutiert. Mit mehr Tiefgang. Jetzt wo das Echo aus dieser Zeit immer schwächer wird, macht es Sinn die Analysen vorheriger Generationen der ChaotInnen und Troublemaker wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Im Vorfeld des Autonomie Kongresses von 1995 in Berlin zirkulierte der folgende Text:
Die autonome Bewegung der 80er Jahre hat sich im allgemeinen mit einigen Schlagworten und ihrem eigenen Mythos als politischen Programm begnügt. Ansonsten war eher die Negation Politik-bestimmend: keine WortführerInnen, keine Organisation, keine StellvertreterIinnenpolitik, keine Einbindung in politische Verantwortung. Anonym, subversiv und unberechenbar war das Auftreten, und so sollte es auch sein. Trotzdem gab es Gelegenheiten, bei denen es notwendig wurde, die eigenen politischen Absichten in Worten auszudrücken.
Das Autonomentreffen in Padua
1981 gab es eine Veranstaltung autonomer Gruppen im italienischen Padua, zu der auch Autonome der West-Berliner HausbesetzerInnenbewegung eingeladen waren. Im Gegensatz zu den deutschen Autonomen hatte die Autonomie-Bewegung in Italien in der Theorie verankerte Wurzeln. Häuser- und Stadtteilkämpfe waren die Ausweitung eines theoretisch durchgearbeiteten Konzepts von Betriebskampf. Mit der Kennzeichnung als „autonom“ grenzte es sich gegen ein traditionelles, an Partei oder Gewerkschaften gebundenes linkes Politikverständnis ab, war aber keineswegs gegen Organisierung im allgemeinen gerichtet. Aus Anlass des Treffens in Padua versuchten auch die West-Berliner Autonomen, ihre Grundauffassungen in acht Stichpunkten deutlich zu machen.
Diese mageren drei Seiten waren und blieben für lange Zeit die einzige programmatische Erklärung aus der autonomen Bewegung, die als solche in den folgenden Monaten auch zur Kenntnis genommen und diskutiert wurde. In einer überarbeiteten Version erschienen die Thesen einige Monate später in der „radikal“. Die für Padua ziemlich flott und unbekümmert hingeschriebenen Aussagen waren schon nicht mehr ganz so unbedenklich. Vielleicht unter dem Eindruck der Kritik, vielleicht auch aus der Überlegung heraus, irgendwann mal beim Wort genommen zu werden, war diese oder jene Spitze abgefeilt.
Verschwimmender Revolutionsbegriff blockiert die Ziele-Diskussion
Es folgte eine lange Zeit, in der autonome Zusammenhänge aus Anlass der unterschiedlichsten Ereignisse vieles an politischen Aussagen an die Öffentlichkeit brachten – zum Internationalismus, zum Verhältnis Patriarchat und Kapital, zum Reformismus – nur nicht zu den eigenen Zielvorstellungen. Dafür gab es vor allem zwei Gründe:
Die grenzenlose Radikalität des politischen Anspruchs schlägt auf jede Konkretisierung eigener Zielvorstellungen wie ein Bumerang zurück. Die einzige Möglichkeit, wie wir der vernichtenden Wirkung der selbstaufgestellten kritischen Maßstäbe entgehen konnten, war die, uns möglichst selbst nicht festzulegen.
Der andere Grund lag vielleicht in unserer allmählich wachsenden Überzeugung, dass sich in einer emanzipativen revolutionären Entwicklung, in der die Ziele nicht durch die Autorität einer dogmatischen Theorie festgeschrieben sind, sich diese Ziele notwendigerweise ständig verändern. Diese eher intuitive und wenig besprochene Annahme von der Relativität und Prozeßhaftigkeit revolutionärer Veränderungen stellte den ganzen bisherigen Revolutionsbegriff infrage. Die Alternative zur Revolution war in unseren Köpfen aber immer der Reformismus, das Kitten des Systems. So haben wir uns durch die Unfähigkeit, gleichzeitig prozesshaft und revolutionär zu denken, in eine Blockade hineinmanövriert und sie durch die Sprachregelung vernebelt, dass die Ziele sich halt in den Köpfen und aus den Kämpfen heraus selbst formulieren. Das stimmt zwar, aber nur dann, wenn es auch umgekehrt gilt: Die Kämpfe entfalten sich an der Hoffnung auf Veränderung, d.h. im Hinblick auf konkrete Ziele. Mit anderen Worten: die Utopie wird in den Kämpfen nicht erfunden aber immer wieder verändert.
Versuche der Neuorientierung nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus …
Die Ereignisse von Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre sorgten dafür, dass in autonomen und antiimperialistischen Zusammenhängen eine intensive Diskussionsphase begann. Der weltweite Zusammenbruch des sozialistisch regierten Lagers berührte zwar unsere eigenen politischen Utopien wenig – die meisten hatten ein gleichgültiges bis feindseliges Verhältnis zum Real-Sozialismus – wir hatten aber das Gefühl, von den Ereignissen überrollt zu werden und die Dimension der Veränderungen, auch im Bewußtsein der Menschen, überhaupt nicht mehr erkennen zu können. Hatte der scheinbare Sieg des Kapitalismus endlich die falsche Alternative weggefegt und Platz für wirkliche Emanzipation in Richtung herrschaftsfreier Verhältnisse geschaffen? Oder machte die Unterwerfung unter die Macht des Faktischen die Menschen nun erst recht dicht für alle linksradikalen Mobilisierungsversuche?
… und dem Zerfallen der autonomen Bewegung
Die Versuche, die autonome Bewegung mit verschiedenen Kampagnen und politischen Themen über den Charakter einer spontanen und eher subkulturellen Jugendbewegung hinauszuheben, sie im weitesten Sinne zu „organisieren“, waren zum großen Teil gescheitert. Die einige tausend West-Berliner Autonome aus den 80er Jahren beschränkten ihr politisches Engagement mehr und mehr auf die Teilnahme an Straßenfesten und an traditionellen Demonstrationen. Aktiv blieb jeweils nur ein kleiner Teil, der eher über gewachsenen, „familiäre“ Strukturen miteinander verbunden war.
Auch die zweite Hochphase der Hausbesetzung als Ort der Herausbildung militanter Kollektivität war 1990 mit der Räumung der Mainzer Straße vorbei. Es gab immer weniger auch von außen erkennbare Symbole für die Möglichkeit eines befreiten Lebens.Außerdem wurde unser Verhältnis zu den eigenen Politikfeldern und -formen zunehmend gebrochener: Neue dogmatische und autoritäre Organisationen fischten mit dem Anspruch, proletarisch und internationalistisch zu sein, die traditionelle UnterstützerInnen-Szene der Autonomen ab. Die neofaschistische Szene übernahm verschiedene Aktionsformen aus dem linken Widerstand und „verbrannte“ sie auf diese Weise. Zudem wurden wir in die Rolle von Grundrechte-VerteidigerInnen oder Antifa-Milizen gedrängt.
Am schlimmsten wirkte sich die überall um sich greifende Beschränkung des Interesses auf das Wohlergehen der eigenen Person und die allgemeine Hoffnungslosigkeit aus. Es schien nichts mehr zu geben, für das es sich zu kämpfen lohnte.
Eine eigene Sprache finden
Dabei hatten wir das sichere Gefühl, dass unsere Idee von Befreiung durch die historischen Ereignisse und durch unsere eigenen Misserfolge und Fehler nicht zerstört war. Unsere Hoffnung war ja nie der Kommunismus am Ende der Geschichte gewesen, sondern die Selbstwertsetzung in der militanten Konfrontation zu den bestehenden Verhältnissen, also die permanente Revolution.
Wir sahen darin weiterhin die einzige wirkliche Alternative zu einem gleichgeschalteten Leben in Konkurenz und Selbstvermarktung. Aber das teilte sich eben nicht mehr direkt durch die Aktionen der Bewegung mit. Wir mussten Versuchen zu sagen, was wir wollen.
Viele dieser Versuche sind im Ansatz steckengeblieben: Es zeigte sich, dass die Sprache – jedenfalls unsere Polit-Sprache – nicht mächtig ist, das auszudrücken, was sich manchmal in einer gelungenen spontanen Aktion oder einer treffsicheren Parole unmittelbar mitteilt: die scheinbare Paradoxie im Verhältnis von Wollen und Handeln, die das Anliegen nicht denunziert, sondern gerade Teil seines Wesens ist. Die Sprachform, in der manchmal Spuren der zwangsläufigen Widersprüchlichkeiten erhalten bleiben, ist die der Ironie, und darin sind wir Autonomen, wenn wir anfangen etwas erklären zu wollen, nicht so besonders stark.
Thesen zu autonomen Bewegung
A) Ursprüngliche Fassung für das Treffen in Padua 1981
B) Bearbeitung der Thesen, die wenig später in der „radikal“ erschien
C) Neubearbeitung einiger „Alt-Autonomer“ von Anfang 1994
1. Für wen wir kämpfen
A) Wir kämpfen für uns, andere kämpfen auch für sich, und gemeinsam sind wir stärker. Wir führen keine Stellvertreterkriege, es läuft über „eigene Teilnahme“, Politik der 1.Person. Wir kämpfen für keine Ideologien, nicht fürs Proletariat oder fürs Volk, sondern für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen, wohl wissend, daß wir nur frei sein können, wenn alle anderen auch frei sind!
B) Wir kämpfen für uns und führen keine Stellvertreterkriege. Alles läuft über eigene Teilnahme, Politik der 1. Person. Wir kämpfen nicht für Ideologien, nicht fürs Proletariat, nicht fürs Volk, sondern für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen, wohl wissend, dass wir nur frei sein können, wenn alle anderen auch frei sind. Volle regionale, kulturelle Autonomie für alle!
C) (wie A, dann:) Aber auch wir haben eine Ideologie: Es geht uns dabei um Eigenverantwortung und Selbstbestimmung als gesellschaftliches Ziel und Mittel zu deren Durchsetzung. Es geht uns aber auch um Moral, Gerechtigkeit und Würde. Und in diesem Zusammenhang führen wir auch manchmal Stellvertreterkriege, wenn wir betroffen sind von dem Leid und der Unterdrückung gegen ander.
2. Verhältnis zur Macht
A) Keinen Dialog mit der Macht! Wir stellen nur Forderungen, auf die die Macht entweder eingehen kann oder auch nicht.
B) Keinen Dialog mit der Macht! Wir stellen nur Forderungen, die die Macht nicht erfüllen kann oder die ganz „irrational“ sind. Durch innerhalb des Systems erfüllbare Forderungen wäre das System nur verbessert und als (wohlwollende) Macht bestätigt.
C) Wir wollen das System nicht reformieren oder verbessern. Wir führen keinen Dialog mir den Herrschenden, denn das ist der erste Schritt zur Integration. Wir lehnen die Propagierung reformistischer Ziele ab. Uns kommt es zu allererst darauf an, das Selbstbewußtsein der Menschen in Alltag und Politik zu stärken, ihre Sachen selbst in die Hand zu nehmen und nicht an andere zu delegieren. Deswegen lehnen wir für uns den parlamentarischen Weg ab. Wir wissen sehr wohl, dass es eine Dialektik zwischen Reform und Revolution gibt: Wenn die Betroffenen für die Verbesserung ihrer Misere kämpfen, also die erlaubten Bahnen des Protestes überschreiten und dabei auch Teilziele gegen den Widerstand der Herrschenden durchsetzen, kann dies auch Ansporn sein, für neue systemübergreifende Ziele zu kämpfen. Das Gefühl, gemeinsam stark zu sein, Erfolge zu erreichen, radikal für die selbstformulierten Ziele zu kämpfen (wobei wir unter „radikal“ nicht nur „militant“ verstehen), ist dabei das Entscheidende: Der Weg, die Art und Weise unserer Kämpfe ist das Ziel.
3. Knast
(dazu nichts im 1. Entwurf)
B) Die ständige latente Drohung mit Knast und deren Anwendung ist eine entscheidende Existenzbedingung dieses Systems, unser Kampf richtet sich primär gegen jede Differenzierung im Knast. „Normalvollzug für alle“ als erster Schritt in Richtung „Freiheit für alle“.
C) Die ständige latente Drohung mit Knast und deren Anwendung ist eine entscheidende Existenzbedingung dieses Systems. Unser Kampf muss sich – trotz des augenblicklichen Unrealismus – insgesamt gegen diese gesellschaftliche Bestrafungssystem wenden. In unserer utopischen Vorstellung wollen wir auch nicht die Verantwortung gegenüber Vergewaltigern, Faschos und Frauenmördern dem Staat überlassen. Momentan würden wir aber trotzdem nicht „Freiheit für alle“ fordern. Das Dilemma lässt sich zur Zeit nicht auflösen.
4. Arbeit
A) Wir sind nicht zusammengekommen über Arbeit oder Fabrik; Arbeit ist für uns ein Ausnahmezustand. Kennengelernt haben wir uns über Punkmusik, Szenekneipen und die sonstige Subkultur.
B) Durch den relativen gesellschaftlichen Reichtum haben wir die Möglichkeit, uns der Arbeit weitgehend zu entziehen. Somit stellt die Arbeit für uns keinen Zusammenhang dar, wo wir uns kennengelernt haben oder der zum Inhalt unseres Kampfes wird. Zusammengekommen sind wir über Subkultur, und diese stellt auch den Ausgangspunkt für unseren Kampf gegen den Staat dar.
C) Wir hier in der Metropole sind – unabhängig von der Klassenstellung – Nutznießer der internationalen Ausbeutung. Auch die Ärmeren profitieren hier von den Hungerlöhnen in den Trikont-Ländern. Der Zwang zur Arbeit ist in dieser Gesellschaft trotz der verschärften Angriffe des Kapitals immer noch sehr viel geringer als in Osteuropa oder den Trikont-Ländern.
Trotz Massenarbeitslosigkeit fordern wir nicht das Recht auf Arbeit. Denn dies wäre in diesem System nur das Recht auf Ausbeutung. Wir kämpfen stattdessen für die Aufhebung der entfremdeten Arbeitsverhältnisse. Wir wissen, dies werden wir nicht erreichen, ohne die Herrschaft des Geldes oder der abstrakten Ware abzuschaffen. Deswegen gehört dazu, die Trennung von Arbeits- und Lebenszusammenhängen aufzuheben, also eine neue grundlegend geänderte Struktur des sozialen Zusammenlebens und der Kommunikation zu schaffen.
5. Kommunismus
A) Wir haben alle einen „diffusen Anarchismus“ im Kopf, sind aber keine traditionellen Anarchisten. Teile von uns sehen den kommunismus/ Marxismus als eine Herrschafts- und Ordnungsideologie; er will den Staat, wir aber nicht. Andere meinen, daß es einen eigentlichen Kommunismus gibt, der nur immer wieder verfälscht worden ist. Einig sind wir darüber, daß alle aufgrund der Erfahrungen mit K-Gruppen, DDR, etc. große Schwierigkeiten mit dem Begriff Kommunismus haben.
B) Wir haben einen „diffusen Anarchismus“ im Kopf, sind aber keine traditionellen Anarchisten. Die Begriffe Marxismus, Sozialismus und Kommunismus beinhalten für uns nach allen ihren Theorien und Praktiken den Staat und können somit von uns, auch als „Zwischenstufe“ nicht akzeptiert werden. Wir glauben auch nicht, dass es eine „Eigentlichkeit“ der obigen Begriffe gibt, die immer nur verfälscht worden ist. Auch mit dem Begriff des Antiimperialismus, so wie er vertreten wird, können wir uns nicht identifizieren, da er bei der Forderung nach nationaler Unabhängigkeit stehenbleibt und somit den Staat in keiner Weise in Frage stellt.
C) Wir haben alle einen „diffusen Anarchismus“ im Kopf, sind aber keine traditionellen Anarchisten. Die Begriffe Marxismus, Sozialismus und Kommunismus beinhalten für uns nach allen ihren Theorien und Praktiken den Staat und können somit von uns, auch als „Zwischenstufe“ nicht akzeptiert werden. Wir glauben auch nicht, dass es eine „Eigentlichkeit“ der obigen Begriffe gibt, die immer nur, z.B. durch den Realsozialismus verfälscht worden ist. Auch mit dem Begriff des Antiimperialismus, so wie er vertreten wird, können wir uns nicht identifizieren, da er bei der Forderung nach nationaler Unabhängigkeit stehenbleibt und somit den Staat in keinster Weise in Frage stellt.
6. Macht
A) Keine Macht für niemand! Auch keine „Arbeitermacht“ oder „Volksmacht“ oder „Gegenmacht“, sondern Keine Macht für Niemand!
B) Es gilt, dem System überall punktuell Gegenmacht entgegenzusetzen. Diese Gegenmacht darf sich allerdings nie totalisieren oder vereinheitlichen, darf nie als die Gegenmacht institutionalisiert werden, sonst wäre die Tendenz für einen neuen Staat im Keim bereits wieder angelegt. Der Ausgangspunkt für die Bildung einer Gegenmacht ist der Staat, nicht der Wunsch nach Herrschaft; somit löst sich die Gegenmacht dialektisch mit der Macht auf – Gibt es keine Macht mehr, brauchen wir auch keine Gegenmacht. Keine Macht für Niemand!
C) Es gilt, dem System überall punktuell Gegenmacht entgegenzusetzen. Diese Gegenmacht darf sich allerdings nie totalisieren oder vereinheitlichen, darf nie als die Gegenmacht institutionalisiert werden, sonst wäre die Tendenz für einen neuen Staat im Keim bereits wieder angelegt. Macht formiert sich aber nicht nur durch den Staat, sondern tragende Säulen der Macht sind u.a. die patriarchiale Kleinfamilie, Kirche und Religion.
Eine besondere Form von Macht und Unterdrückung bildet sich durch das Konkurrenzprinzip und Leistungsdenken heraus. Diese werden uns in Erziehung, Schule und Arbeit als naturgebundene Normen vermittelt. Die Bekämpfung des vermeintlichen Rechts des Stärkeren, Erfolgreicheren bedeutet, die Machtbeziehungen in allen Formen zwischenmenschlicher Kommunikation zu thematisieren und bei sich selbst anzufangen, diese abzubauen. Die Bildung einer sozialen Gegenmacht darf uns nicht dazu verleiten, neue Machtstrukturen an die Stelle der alten zu setzen. Das Ziel – keine Macht für niemand – muss auch in unseren Formen des Kampfes und der Organisation von Gegenmacht erkennbar sein.
7. Alternativszene
A) Mit der Alternativszene haben wir inhaltlich nichts zu tun, sind aber bereit, die Strukturen und technischen Mittel der Alternativszene zu benutzen. Uns ist klar, daß der Kapitalismus hier einen neuen Nebenzyklus von Kapital und Arbeit schafft, sowohl als Beschäftigungsfeld für arbeitslose Jugendliche, als auch als Experimentiertfeld zur Lösung anstehender sozialer Spannungen und wirtschaftlicher Probleme.
B) Westberlin hat eine sehr weit entwickelte Subkultur, deren Strukturen wie Kneipen, Buchläden, Druckereien, Werkstätten etc. von der gesamten Linken genutzt werden. Die Alternativen versuchen, sich innerhalb des bestehenden Systems Freiräume zu erobern, um darin eine andere Kultur und Ökonomie aufzubauen, stoßen dabei jedoch immer wieder auf vom Kapital vorgegebene gesamtgesellschaftliche Grenzen. Auch unser Kampf geht im Moment nur um die Eroberung und Verteidigung von Freiräumen, dies kann und darf aber nie unser Ziel sein. Aber je mehr Freiräume wir gewinnen können, desto besser ist unsere Ausgangsbasis, um den Staat und das System zu stürzen und im Meer der Geschichte zu versenken. Freiräume bedeuten ein punktuelles Außerkraftsetzen des Staates, aber gleichzeitig kann der Staat durch das ghettoisierte Zulassen von Freiräumen sozialen Widerstand kanalisieren. Die deutsche Sozialdemokratie versteht es in den letzten Jahren, die Alternativszene als Experimentierfeld für soziale und technische Probleme begreifend, diese gezielt zu subventionieren und deren Ergebnisse teilweise zu integrieren – die Alternativszene als Diagnose- und Therapiefeld der kranken kapitalistischen Gesellschaft.
Politische Aktivitäten entwickeln die meisten Alternativen nur, wenn sie ihre Freiräume bedroht sehen sehen oder wenn der zunehmende ökologische Ausverkauf ihr Überleben/ Perspektive in Frage stellt. Dabei schließen sie eine Zusammenarbeit mit der Macht nicht grundsätzlich aus. Durch diese Orientierung auf ein anderes innerhalb des bestehenden ergibt sich ein latentes Spannungsfeld zur radikalen/ autonomen Linken, deren Orientierung hauptsächlich darauf gerichtet ist, das Bestehende zu beseitigen. Inhaltliche Diskussionen zwischen Alternativen und Autonomen finden nur selten statt, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Autonomen oft kein formuliertes oder zumindest einheitliches Selbstverständnis haben.
Gerade in der Häuserbewegung ist der Konflikt offen ausgebrochen: Der große Teil der alternativ orientierten Hausbesetzer betrachtet die Häuser als Freiräume, in denen sie ein anderes (Über-) leben entwickeln wollen. Dabei arbeiten die meisten auf eine Legalisierung hin – für den Preis der Anerkennung der Macht. Die Autonomen dagegen erklären die Häuser für enteignet und wollen sie nicht zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, sondern zum Ausgangspunkt um weiterzukämpfen. Trotz dieser teilweise grundsätzlichen Differenzen kommt es immer wieder zu fruchtbaren Aktionseinheiten und Bündnissen.
Wir lehnen die Selbstverwaltung des Elends und der sozialen Krise ab, d.h. wir würden z.B. nie ein Selbsthilfeprojekt für Arbeitslose machen. Hier ist für die alternativen nichts weiter als eine Falle aufgestellt. Sie sollen sich in den Randbereichen der Macht und ihrer Verwaltung beteiligen – letztendlich um das System zu stabilisieren.
C) Die Alternativen versuchen, innerhalb des bestehenden Systems Freiräume zu erobern, um darin eine andere Kultur und eine andere Ökonomie aufzubauen. Sie stoßen dabei jedoch immer wieder auf vom Kapital vorgegebene gesamtgesellschaftliche Grenzen. Auch unser Kampf geht im Moment meist nur um die Eroberung und Verteidigung von Freiräumen, wie z.B. bei der Besetzung von Häusern und Jugendzentren. Dies kann und darf aber nie unser alleiniges Ziel sein. Aber je mehr Freiräume wir gewinnen können, desto besser ist unsere Ausgangsbasis, um den Staat und das System zu stürzen. Freiräume bedeuten ein punktuelles Außerkraftsetzen des Staates. Aber gleichzeitig kann der Staat durch das ghettoisierte Zulassen von Freiräumen sozialen Widerstand kanalisieren.
Diese unterschiedliche Bewertung der Bedeutung von Freiräumen bei den Grün-Alternativen und bei den Autonomen halten wir für zu Schwarz-Weiß und zu wenig prozeßhaft gedacht. Gesellschaftlicher Wandel vollzog sich sehr wohl auch durch das „Therapie- und Diagnosefeld der Alternativszene“, z.B. im Bereich der Gesundheitspolitik/ Medizin. Es ist nicht gleich alles schlecht, was gesellschaftlich integriert wird, was zu Reformen beiträgt. Die Alternativszene ist heute jedoch Teil des Systems und keine Triebfeder mehr für emanzipatorischen Wandel.
Wir wollen auch heute noch Freiräume erkämpfen, um experimentieren zu können, um die Dialektik zwischen Eigenveränderung und gesamtgesellschaftlicher Veränderung produktiver leben zu können. Aber die Freiräume sollten nicht nur für die Jugendbewegung, die funktionstüchtigen Kämpfer da sein, sondern gerade auch für Alte, Kranke, Behinderte, Obdachlose, Süchtige etc.
8. Revolution
A) Uneinig sind wir uns darüber, ob wir´ne Revolte sind oder`ne Revolution wollen. Ein paar wollen´ne permanente Revolution, der Rest meint, das könne man dann gleich eine permanente Revolte nennen. Revolution ist für sie ein Fixpunkt, ab dem dann angeblich das Reich der Freiheit da ist. Und das gibt’s ihrer Meinung nach nicht. Freiheit ist vielmehr der kurze Moment, in dem der Pflasterstein die Hand verläßt, bis zu dem Moment, wo er auftrifft. Einig sind wir uns darüber, daß wir zuerst nur zerstören wollen, kaputt machen, uns nicht positiv formulieren.
B) Nicht einig sind wir uns darüber, ob wir eine Revolte oder Revolution wollen. Ein paar wollen ne permanente Revolution. Der Rest meint, das könnte man dann gleich ne permanente Revolte nennen. Revolution ist für sie ein Fixpunkt, ab dem dann angeblich das Reich der Freiheit da ist, und das gibt’s ihrer Meinung nach nicht. Vielleicht ist Freiheit nur der kurze Moment, wo der Pflasterstein in die Hand genommen wird, bis zum Zeitpunkt, wo er auftrifft, d.h. der Moment der Veränderung, der Grenzüberschreitung, der Bewegung. Einig sind wir uns darüber, dass wir den Staat zerstören und uns ihm gegenüber nicht konstruktiv formulieren wollen.
C) Wir müssen neben der Aufhebung des Staates mit unseren eigenen verinnerlichten Strukturen aufräumen: Patriarchiale, rassistische und leistungsorientierte Strukturen stecken ganz tief in uns. Sie haben wenig mit der Existenz des Staates zu tun. Diese Aufhebung der eigenen deformierten Strukturen läuft aber nicht allein durch Selbstveränderung. Hier überschätzen wir unsere subjektiven Möglichkeiten. Eine weiterführende Antwort war und ist Kollektivität. Doch auch dabei muss noch viel an gesellschaftlichem verinnerlichten Dreck wie Machtstrukturen, Konkurrenzdenken etc. verändert werden. Das spielerische Moment der Selbstveränderung – das des Erlebens der Freiheit beim Flug des Pflastersteins – ist allein zu kurz gegriffen. Das Leben steht leider nicht nur aus einer Aneinanderreihung solcher Momente der Freiheit, sondern der politische Alltag hat viel mit den Mühen der Ebene zu tun. Selbstveränderung kann aber auch dann lustvoll sein, wenn du z.B. in der Kommunikation mir anderen das Neue spürst, dich traust, neue Wege zu gehen, die dir neuen Mut geben.
9. Organisierung
A) Wir haben keine Organisierung an sich. Unsere Organisationsformen sind alle mehr oder weniger spontan. Besetzerrat, Telefonkette, Autonomen-Plenum, und viele viele kleine Gruppen, die sich entweder kurzfristig zusammensetzen, um irgendwelche actions zu machen auf Demos zusammen sind, etc. und langfristigere Gruppen, die Sachen wie radikal, Radio Utopia oder irgendwelche ganz illegale actions machen. Es gibt keinerlei festere Strukturen wie Parteien etc., auch keinerlei Hierarchie. Die Bewegung hat z.B. bis heute noch keinen einzigen Exponenten hervorgebracht wie z.B. Negri, Dutschke, Cohn-Bendit, etc…
B) Wir haben keine Organisierung an sich. Unsere Organisationsformen sind alle mehr oder weniger spontan. Besetzerrat, Telefonkette, Autonomen-Plenum, und viele viele kleine Gruppen, die sich entweder kurzfristig zusammensetzen, um irgendwelche actions zu machen, oder langfristige Gruppen die Sachen wie Zeitungen, Radios oder irgendwelche illegalen actions machen. Es gibt keinerlei anerkannte Hierarchie. Die Bewegung hat bis heute noch keinen einzigen Exponenten hervorgebracht wie z.B. Negri, Dutschke, Cohn-Bendit, etc.
C) Wir lehnen eine parteiförmige Organisationsstruktur aus vielerlei Gründen ab: In allen linksradikalen Parteien gab es das Funktionärsunwesen, das Delegieren von Interessen von unten nach oben, die mangelhafte Förderung des Selbstbewußtseins und der Selbstbestimmung der Massen etc. Jede kommunistische oder anarchistische Partei kennt das Problem der Macht bis zum Überdruß. In unseren Strukturen hingegen gibt es keine gewählten Delegierte oder Funktionäre. Und dennoch kennen auch wir das Problem der Macht. Sie bildet sich bei uns nur informell, quasi unter der Hand heraus.
Informelle Zusammenhänge zwischen verschiedenen Gruppen und Individuen haben sich im Laufe der Jahre herausgebildet. Besonders die „Neuen“ und die Jüngeren sind davon zumeist sehr lange ausgeschlossen. Obwohl die nicht-öffentliche Struktur einen guten Schutz vor den Bullen bietet, müssen wir viel schärfer zwischen notwendiger Nicht-Öffentlichkeit und öffentlich zugänglicher Struktur unterscheiden. Viele von den informellen Strukturen sind überholt und entziehen sich völlig der Kritik durch andere. Hier blockieren alte Machtstrukturen politische Neuerungen.
Wenn wir u.a. mit den Jüngeren neue Wege gehen wollen, nicht mehr nur reaktiv Feuerwehrpolitik machen wollen, sondern vorausschauend Perspektiven und Strategien einer neuen politischen Praxis und Theorie entwickeln wollen, dann müssen wir von einigen lieb gewordenen Strukturen Abschied nehmen. Trotz gegenteiliger Behauptungen gibt es unter den Berliner Autonomen sehr wohl eine kontinuierlich arbeitende Struktur. Sie ist aber in ihren Formen erstarrt. Frischer Wind durch neue Leute und neue Formen der politischen Auseinandersetzung, von der sehr viel ohne großes Sicherheitsrisiko öffentlich sein könnte, sind aber dringend notwendig.
Wir sollten das jetzt herausfinden, ob die Politik der Autonomen noch Resonanz braucht und welche Art der Organisierung nötig und möglich ist. Denn dort wo wir uns punktuell auf der Straße durchsetzen konnten, Flora Demo Hamburg 2013 oder EZB Frankfurt 2015, gelang es uns nicht, davon etwas in den Alltag mitzunehmen. Manchmal konnten wir uns auch nicht behaupten wie beim No Border Camp letztes Jahr in Thessaloniki. Die sogenannten „Postautonomen“ Gruppen oder andere Autoritäre Linke distanzieren sich von uns nach taktischem Belieben oder deeskalieren gleich jeden Widerstand.
Als Autonome müssen wir verhindern zum folkloristischen Teil jener Ereignisse zu werden, die derzeit noch die meisten Unzufriedenen zusammenkommen lassen. Nur mit nächtlichen Angriffen können wir gesellschaftliche Brüche nicht eskalieren, solange ein linkes oder linksradikales Spektrum ansprechbarer auftritt, jedoch eigentlich im völligen Gegensatz zu den Thesen von Padua 1981 handelt, einzig und alleine um ein Stück vom Kuchen der Macht abzubekommen.
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